Hallo liebe Leser,

nach einer kleinen Pause aus dem „Bloggerleben“ melde ich mich heute mit einem eher nachdenklichem Thema wieder zurück, „Obdachlosigkeit“.

Ich habe mich heute ein paar Stunden mit einer Frau unterhalten, die schon seit nun mehr als 5 Jahren auf der Straße lebt. Das gab mir schon sehr zu denken, zumal meine Tochter und ich das Glück haben, jeden Tag an einen Ort zurückkehren zu können, den wir unser zu Hause nennen dürfen.

Ich meine, ein Ort, den man zu Hause nennen kann, muss nicht unbedingt eine Wohnung oder ein Haus sein, viel mehr ist ein zu Hause ein Ort, an dem man sich sicher und geborgen fühlt, doch haben Obdachlose Menschen sowas überhaupt ? Ich möchte diese Frage erstmal pauschal mit einem klaren „Nein“ beantworten.

Ich bin gerne und viel an der frischen Luft, am liebsten irgendwo in der Natur. Ich gehe regelmäßig spazieren oder fahre mit dem Fahrrad. Oftmals auch die gleichen Strecken, denn anders als in der zubetonierten Stadt schaut man sich dabei in der Natur genauer um, beobachtet und genießt was um einen herum passiert.

In den letzten Tagen bin ich fast täglich eine Runde um einen kleinen See spaziert, dabei ist mir an einer kleinen Bucht, direkt am See eine Person aufgefallen. Naja was heißt aufgefallen, eher im Augenwinkel beim vorbei gehen wahrgenommen.

Bei den darauf folgenden Spaziergängen ist mir dann aber aufgefallen, dass diese Person eigentlich immer dort liegt, egal an welchem Tag oder Uhrzeit ich diesen Ort passiere. Bei genauerem hinschauen ist mir dann aufgefallen, da liegt nicht nur so jemand zum sonnen, denn das hätte ja sein können, immerhin haben wir ja noch schönsten Sonnenschein. Nein, es sah eher aus, wie das letzte Hab und Gut eines Menschen.
Auf dem Weg zum Auto ließ ich die letzten Tage, an denen ich dort vorbei gelaufen bin noch einmal Revue passieren und entschloss spontan am nächsten Supermarkt anzuhalten, kaufte dort ein paar Büchsensuppen, Brötchen, etwas Obst und Gemüse sowie ein paar Flaschen Selters.
Als ich mit dem Einkauf wieder an der Bucht ankam, schlief die Frau tief und fest auf ihrer Decke unter dem Sonnenschirm, so dass ich die Sachen nur neben ihr abstellte und mich dann wieder davon schlich.

Zum Abendessen kochten meine Tochter und ich eine frische Gemüsesuppe. Natürlich war der Hunger mal wieder größer als der Magen, so dass eine Menge überblieb. Da kam mir die Frau vom Nachmittag wieder in den Sinn. Ich könnte doch, wenn ich nachher meine Tochter zu ihrer Mutti bringe, das restliche Essen mitnehmen und nochmal an der Bucht vorbeischauen.
Gesagt, getan. An der Bucht angekommen lächelte mich schon ein freundliches Gesicht an und wünschte mir einen schönen guten Abend. Ich lächelte zurück, erwiderte guten Abend und sagte, dass ich vorhin schon einmal da war und ihr ein paar Sachen hingestellt habe. Nun habe ich frische Gemüsesuppe gekocht, haben Sie Hunger ?

Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie diese Frau sich gefreut hat, es war ein unbeschreiblich schöner Moment. Dass sich ein Mensch über für mich alltägliche Dinge so freuen kann.
Sofort bat sie mir einen Sitzplatz an und wunderte weiter. Nachdem sie sich wieder ein wenig beruhigt hatte fingen wir an uns zu unterhalten.

Sie erzählte mir, dass alles was ich hier sehen kann auch alles das ist, was sie besitzt. Ich sah ein altes Damenfahrrad mit einem Anhänger, darin ein paar Klamotten, etwas Pflegemittel und eine Plane. Daneben stand ein kleiner Kochtopf mit Deckel und ein Gaskocher. Ihr Schlafplatz bestand aus einer Plane, ein paar Decken, einem Schlafsack und einem Sonnenschirm. Ein kleines Taschenradio und ein Handy besitze ich auch, nur leider kann ich meinen Akku nur selten aufladen, somit ist mein Handy immer aus, weil der Akku alle ist.

Um das Ganze an dieser Stelle mal ein wenig abzukürzen, damit es kein Roman wird, schreibe ich ab jetzt im Interview Stil weiter. An diese Aussagen kann ich mich in unserem mehrstündigen Gespräch noch erinnern:

Wie finanzierst du deinen Alltag ?
Ich bekomme vom Staat keinen einzigen Cent. Um ein wenig Geld in der Tasche zu haben, gehe ich Flaschen sammeln. An einem guten Tag kommen da auch schon mal 5 Euro zusammen. Betteln ist verboten, sowas geht ja mal gar nicht. Oftmals benötige ich aber auch gar kein Geld. Die Menschen schmeißen so vieles weg, man muss nur die Augen offen halten und seine Plätze und vor allem die Zeiten kennen. Selbst Trinkwasser gibt es an öffentlichen Stellen kostenlos, wenn man weiß wo. Dadurch komme ich teilweise mit 40 – 50 Euro im Monat schon zurecht. Ist ja nur, damit ich mal ein paar Medikamente, meine Zigaretten (Zigarillos) oder andere wichtige Dinge kaufen kann. Manchmal kommt es vor, dass die Menschen die hier regelmäßig vorbeikommen und meine Lage bemerken, eine Kleinigkeit zu essen für mich mitbringen. Mir ist das zwar unangenehm, denn man schämt sich ja für seine Lage, die Freude jedoch riesig. Menschlichkeit ist nicht alltäglich!

Wie verbringst du deinen Alltag ?
Am Vormittag, wo noch nicht so viele Menschen an meinem Schlafplatz vorbeikommen gehe ich Flaschen sammeln oder besorge mir das was ich für die nächsten Tage benötige. Gegen Mittag lege ich mich dann meistens schlafen, denn da sind dann genug Menschen in der Umgebung, da fühle ich mich dann sicher. Abends und Nachts bin ich meistens wach, denn ich habe Angst, sobald es dunkel wird. Angst vor Tieren, die sich immer näher an meinen Schlafplatz heran trauen und vor allem Angst vor Übergriffen, denn nachts ist keiner da, den ich um Hilfe rufen könnte. Du glaubst gar nicht, was man als obdachlose Frau alles erlebt. Es gibt Menschen, die sind echt pervers und niveaulos.

Es kommt auch öfters mal vor, dass ich beschimpft werde, weil ich auf der Straße lebe. Dabei bettle ich nicht, betrinke mich nicht, sehe relativ sauber und gepflegt aus, schaue keinen schief an, geschweige denn, dass ich jemandem auf die Nerven gehe. Ich versuche mich stets so unauffällig wie möglich zu verhalten, einfach keinen zu stören.

Wie lange lebst du schon auf der Straße ?
Ich lebe mittlerweile mehr als 5 Jahre auf der Straße. Es ist teilweise sehr hart, denn du weißt nie, was der nächste Tag bringt. Es ist eigentlich kein Leben, eher ein Überleben, jedoch gewöhnt man sich daran. Im Sommer ist es leichter, da halte ich mich eigentlich ausschließlich in der Natur auf. Im Winter ist das leider nur schwer zu realisieren.

Das erste Jahr auf der Straße war das schlimmste. Ich war ständig krank, stand neben mir und vegitierte quasi vor mich hin. Ich wusste noch nicht, wie der Hase läuft und auf was ich alles zu achten habe um zu überleben, jedoch wird man nach einer gewissen Zeit zu einem Überlebenskünstler.

Früher hatte ich Familie, Freunde und Arbeit, dann kam mein Burnout und die ganzen psychischen Krankheiten. Das war dann das Ende für mich und ich landete irgendwann auf der Straße.
Evtl. bin ich auch ein Stück weit selber an meiner Situation Schuld, jedoch ist es doch so, wenn du an einem Punkt in deinem Leben angekommen bist, an dem du nicht mehr kannst, dann kannst du einfach nicht mehr. Es kam eine Zeit, da war ich einfach am Ende meiner Kräfte und keiner hat mir in dieser Zeit so wirklich geholfen, eher das Gegenteil war der Fall. Bei allem und jedem musste ich mich ständig melden um Rede und Antwort zu stehen, nur kam dabei nie wirklich etwas heraus. Alle wissen immer alles und jeder weiß es besser, jedoch kann irgendwie kaum einer helfen. Unser System ist alles andere als perfekt, ich bin da irgendwie durchgefallen und keiner hat mich aufgefangen!

Aber weißt du was, seit ich auf der Straße lebe, habe ich keine psychischen Krankheiten mehr. Ich habe jetzt andere Probleme, die machen mir natürlich auch zu schaffen, aber nichts ist in meiner jetzigen Situation so schlimm, wie damals die psychischen Krankheiten.

Welche Träume, Ziele oder Wünsche hast du für die Zukunft ?
Ich hätte gerne wieder eine Arbeit, nichts anspruchsvolles, Straße kehren und Mülleimer leeren würde mir schon ausreichen, einfach nur, um ein paar Euro in der Tasche zu haben und wieder krankenversichert zu sein, denn auf der Straße darfst du alles, nur nicht krank werden. Meine Zähne habe ich mir kurz vor der Obdachlosigkeit noch schnell machen lassen.

Auch hätte ich gerne wieder ein Dach über dem Kopf, nicht unbedingt im Sommer, aber wenigstens für die kalten Wintermonate, es muss nicht einmal eine Wohnung sein. Eine kleine Gartenlaube würde mir schon völlig ausreichen, mehr brauche ich in meinem Alter gar nicht mehr! Ich bin jetzt 50 J.
Das einem im Winter kalt ist, damit komme ich mittlerweile klar, aber wenn es in den kalten Monaten so nasskalt ist, bekomme ich meine paar Klamotten gar nicht erst trocken, das ist sehr unangenehm, denn tragen muss ich sie ja trotzdem, um nicht zu erfrieren.

Sind Alkohol oder Drogen für dich ein Thema ?
Alle paar Monate trinke ich mal eine Flasche Bier, Drogen habe ich noch nie genommen, das könnte ich mir auf der Straße auch gar nicht leisten.

Wie machst du das mit der Hygiene ?
Um mich zu waschen gehe ich in den See baden, meine Haare versuche ich so oft wie es geht mit ein bisschen Trinkwasser zu waschen. Für meine Wäsche nehme ich auch Trinkwasser und einen Eimer, dort versuche ich dann alles so gut wie möglich durchzuwaschen, anschließend hänge ich es an die Bäume.

Wirst du oft von deinen Schlafplätzen verjagt ?
Das ist unterschiedlich. Hier bin ich jetzt z.B. schon seit Mitte April, mittlerweile haben wir ja schon Anfang September. Sagen wir es mal so, ich bin hier nicht gerne gesehen, werde aber mit einem Auge zudrücken von der rothaarigen Ordnungshüterin momentan noch geduldet, so lange ich den Platz hier ordentlich halte und kein Zelt aufstelle…

Wie kann man dir Helfen bzw. etwas gutes tun ?
Noch ist Sommer und ich bin im großen und ganzen glücklich, was ich bräuchte wäre ein Koffer, damit ich dort ein paar Sachen und Lebensmittel lagern könnte, damit das Ungeziefer nicht mehr herankommt. Ansonsten bräuchte ich nur mal eine Taschenlampe und ein paar neue Batterien für mein Radio.

Sorgen macht mir der Winter, ich bräuchte einfach nur einen warmen Schlafplatz für die feuchte kalte Zeit, ich würde auch keinem zur Last fallen und alles sauber halten. Also wenn du jemanden kennst der einen kennt usw.

An dieser Stelle endet unser Gespräch erstmal, denn es ist schon ziemlich spät geworden. Ich werde Sie auf jeden Fall regelmäßig besuchen, um ihr bei dem einen oder anderen kleinen Wunsch zu helfen